Viele glauben, wenn sie eingestehen krank oder Hilfsbedürftig zu sein, der Wirtschaft zu schaden.
Es gibt wohl niemand unter uns, der nicht schon mal zur Arbeit ging, obwohl er sich krank fühlte.
Die Annahme, Krankheit schade der Wirtschaft und sei ein individuelles Versagen, ist weit verbreitet und weckt unnötige Schuldgefühle.
Unsere Kultur hat ein sehr gespaltenes Verhältnis zu Krankheit.
Wirtschaftsvertreter und Politiker gehen häufig davon aus, dass gar kein wirkliches Leiden vorliegt. Der "kranke Arbeitnehmer", genauso wie der "typische schmarotzende Arbeitslose" sei einfach nur zu faul zum Arbeiten.
Wir alle wissen, es gibt solche Leute.
Jeder von uns hatte schon mal Kollegen, die regelmäßig an Brückentagen oder Montagen von kurzfristigen Leiden befallen werden.
So ärgerlich, dass auch ist, ich behaupte das ist die
Minderheit und verweise wieder auf die Forschungen des Nobelpreisträgers David Kahneman, der die Folgen der verzerrte Wahrnehmung belegt.
Seltsame, schädliche Früchte der verzerrten Wahrnehmung:
Diese verzerrte Wahrnehmung ist in vielen Bereichen sowohl für Unternehmen als auch die Beschäftigten schädlich.
Während ein Unternehmer nie daran zweifeln würde, dass eine Maschine ab und zu Reparatur- und Wartungsbedürftig ist, wird dem Arbeitnehmer oft böswillige Absicht unterstellt.
Ständig teilen uns die Medien mit, wie viel Krankheitstage der Wirtschaft kosten und so manch einem plagt nach solchen Nachrichten Scham, Wut oder Ärger.
Arbeitgeber glauben derartige Behauptungen!
Als Beispiel führe ich an, dass einige meiner Kunden ihre Arbeitnehmer bei der Krankenkasse denunzierten, weil sie glaubten, hinter dem Fernbleiben des Mittarbeiters stünde Faulheit, wenn nicht gar Bosheit.
Eigenverantwortung von Unternehmern und Arbeitgebern
Dass Arbeitgeber und Unternehmen selbst erheblichen Anteil an der Erkrankung haben könnten, seis durch beständiges Mobbing, andauernde Überforderung oder schlechte und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen, kam dabei keinem von Ihnen in den Sinn.
Bis sie plötzlich selbst krank und dadurch nicht mehr Leistungsfähig waren und ihre eigenen Werte überdenken mussten.
Wohlstand und Macht schützt nicht vor Krankheit. Selbst Politiker und Superreiche können krank sein oder werden!
Hier will ich nur zwei Beispiele heranziehen:
- Franklin D. Roosevelt, war US-Präsident während des Zweiten Weltkriegs. Er erkrankte 1921 an Polio und war danach von der Hüfte ab gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen.
- Steve Jobs starb am 5. Oktober 2011 an den Folgen einer seltenen Form von Bauchspeicheldrüsenkrebs.
Er wurde 2003 mit dieser Diagnose konfrontiert und entschied sich zunächst für alternative Behandlungsmethoden, bevor er sich 2004 einer Operation unterzog. Später, im Jahr 2009, erhielt er auch eine
Lebertransplantation aufgrund von Metastasen.
Trotz dieser Behandlungen und seines langen Kampfes gegen die Krankheit verstarb er schließlich daran.
Unabhängig von Rang und Namen erkrankt jeder Zweite in Deutschland an Krebs.
Verschiedene Quellen, darunter Berichte des Robert Koch-Instituts (RKI) und des Deutschen Krebsforschungszentrums (DKFZ), bestätigen, dass fast jeder zweite Mensch in Deutschland im Laufe seines Lebens eine Krebsdiagnose erhält.
Krebs ist eine der häufigsten Erkrankungen in Deutschland und die zweithäufigste Todesursache nach Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Die Unsichtbaren Kosten: psychische Erkrankungen in der Arbeitswelt
Auch psychische Erkrankungen kommen in Deutschland, immer häufiger vor. Dies kann unterschiedliche Ursachen haben:
Die Themen Burnout sind in Deutschland leider auch sehr präsent und beide sind über
alle Maßen wirtschaftsschädlich!
Mobbing am Arbeitsplatz
Studien zeigen, dass Mobbing am Arbeitsplatz in Deutschland ein verbreitetes Problem ist.
Eine YouGov-Umfrage aus dem Jahr 2021 ergab, dass fast jeder dritte Deutsche (etwa 30%) schon einmal Mobbing am Arbeitsplatz erlebt hat. Andere Studien sprechen sogar von über 60%, wobei die Definition von "Mobbing" hier breit gefasst sein kann.
(Hier füge ich an, dass die Grenzen in Amerika sehr viel enger gefasst werden und zu nicht unerheblichen Schadensansprüchen führen können. Denn hier wie dort, Mobbing ist Körperverletzung und macht krank!)
Burnout, eine stetig wachsende Belastung
Obwohl uns manch hochrangiger Politiker und Wirtschaftsvertreter klar machen wollen, dass die Deutschen zu faul sind, per se zu wenig und angemessen der Lebenszeit auch zu wenig arbeiten, gibt es Zahlen die diese Behauptungen widerlegen.
Häufigkeit und Entwicklung des Burnouts in Deutschland
Studien und Umfragen zeigen, dass ein signifikanter Teil der deutschen Erwerbstätigen von Burnout-Symptomen betroffen ist oder sich gefährdet fühlt.
Laut einer Pronova BKK Studie von Februar 2024 sehen sich 61% der Arbeitenden in Deutschland gefährdet, an Überlastung zu erkranken. Davon stufen 40% ihre Gefährdung als mäßig und 21% sogar als hoch ein. (Mit Verlaub, das sind keine kleinen Zahlen!)
Eine McKinsey-Studie vom November 2023 ergab, dass jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland (20%) Burnout-Symptome wie
- Dauermüdigkeit,
- Konzentrationsstörungen oder
- eine starke Ablehnung der beruflichen Tätigkeit verspürt. Betrachtet man nur körperliche und geistige Erschöpfung, sind es sogar 37%.
- Der STADA Health Report 2022 zeigte, dass die selbstgeschätzte Burnout-Rate in Europa, und auch in Deutschland, einen historischen Höchststand erreicht hat:
Jeder Zweite in Deutschland hatte demnach bereits Burnout-Sorgen oder Symptome erlebt oder glaubte, kurz davor zu stehen.
Ein Artikel von FOCUS online aus dem März 2023 betont,
dass die Burnout-Raten in Deutschland schneller steigen als in fast jedem anderen Land.
Die Ursachen für Burnout sind komplex und multifaktoriell.
Sie liegen oft im Zusammenspiel von Arbeitsbedingungen, persönlichen Faktoren und gesellschaftlichen Entwicklungen:
Arbeitsbedingungen:
Hohe Arbeitsbelastung und Zeitdruck: Dies wird häufig als kritischer Risikofaktor genannt.
Toxische Arbeitsumgebung und unklares Rollenverständnis: Diese Faktoren tragen laut McKinsey-Studie maßgeblich zu Burnout-Symptomen bei.
Schlechte Kommunikation und Zusammenarbeit:
Innerhalb der Organisation kann dies das psychische Wohlbefinden beeinträchtigen.
Fremdfaktoren:
Fehlende Anerkennung und Wertschätzung:
Ein hohes Bedürfnis nach Wertschätzung und Anerkennung, das nicht erfüllt wird, kann zu Frustration und Burnout führen.
Mangelnde Flexibilität und Kontrolle:
Das Gefühl, wenig Einfluss auf die eigene Arbeit zu haben,
kann zur Erschöpfung beitragen.
Remote-Arbeit:
Insbesondere die Unfähigkeit, nach Feierabend "abzuschalten", wird als häufige Ursache für Burnout im Homeoffice genannt.
Persönliche Faktoren:
Perfektionismus, Idealismus, Versagensängste: Persönlichkeitsmerkmale, die dazu führen, dass man sich selbst zu hohe Standards setzt oder ständig versucht, es allen recht zu machen.
Geringe Resilienz:
Die Fähigkeit, mit Stress und Rückschlägen umzugehen.
Vernachlässigung eigener Bedürfnisse:
Der Versuch, Symptome durch ungesunde Verhaltensweisen (z.B. übermäßigen Konsum von Alkohol oder Beruhigungsmitteln) zu kompensieren.
Gesellschaftliche Faktoren:
Doppelbelastung:
Insbesondere in der Lebensmitte kann die Kombination aus beruflichen Anforderungen und familiären Verpflichtungen (z.B. Kindererziehung, Pflege von Angehörigen) zu einer erschöpfenden Überlastung führen.
Leistungsgesellschaft und Druck:
Ein allgemeiner Druck, ständig verfügbar und leistungsfähig zu sein.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Burnout in Deutschland eine weit verbreitete Herausforderung ist, deren Häufigkeit steigt und die sowohl auf individuelle als auch auf systemische Faktoren zurückzuführen ist.
Wir sehen, es kann jeden von uns treffen.
Präsentismus: Die teuere Arbeitsmoral
Das Phänomen, dass Arbeitnehmer trotz Krankheit zur Arbeit gehen, wird als Präsentismus bezeichnet und verursacht in Deutschland erhebliche wirtschaftliche Verluste für Unternehmen und die Volkswirtschaft insgesamt.
Es ist sogar ein noch größeres Problem als die reinen Fehlzeiten (Absentismus).
Hier sind die zentralen Punkte zu den wirtschaftlichen Verlusten durch Präsentismus in Deutschland:
Deutlich teurer als Absentismus:
Studien zeigen übereinstimmend, dass die Kosten durch Präsentismus deutlich höher sind als die durch Absentismus.
Beträchtliche Summen pro Mitarbeiter:
Im Jahr 2009 wurden die durchschnittlichen Unternehmenskosten pro Mitarbeiter durch Präsentismus auf 2.399 Euro pro Jahr beziffert, verglichen mit 1.199 Euro durch Absentismus.
Milliardenverluste für die Wirtschaft:
Hochgerechnet auf die gesamte deutsche Volkswirtschaft entstehen durch Präsentismus Milliardenverluste.
Eine Schätzung aus dem Jahr 2009 bezifferte den volkswirtschaftlichen Schaden (gemessen als Bruttowertschöpfungsausfall) auf 225 Milliarden Euro jährlich, was damals etwa 9% des Bruttoinlandsprodukts entsprach.
Ursachen für die wirtschaftlichen Verluste
Die Verluste entstehen hauptsächlich durch:
Reduzierte Produktivität und Leistungsfähigkeit:
Kranke Mitarbeiter sind nicht voll leistungsfähig. Ihre
Konzentration ist herabgesetzt, sie arbeiten langsamer, und die Qualität ihrer Arbeit leidet.
Erhöhte Fehlerquote und Unfallrisiko:
Unkonzentriertheit und eingeschränkte Leistungsfähigkeit führen zu mehr Fehlern bei Aufgaben und erhöhen das Risiko von Arbeitsunfällen. Dies kann zu Nacharbeit, Ausschuss und weiteren Kosten führen.
Verzögerte Genesung und Chronifizierung:
Wer krank zur Arbeit geht, verzögert oft den Genesungsprozess. Dies kann zu längeren Krankheitsphasen oder sogar zur Chronifizierung von Beschwerden führen, was wiederum langfristige Ausfälle und höhere Gesundheitskosten zur Folge hat (z.B. Burnout, langfristige Arbeitsunfähigkeit).
Ansteckungsgefahr:
Bei infektiösen Krankheiten können sich Kollegen anstecken, was zu einer Kettenreaktion von Krankheitsausfällen im Team oder Unternehmen führen kann.
Belastung für andere Mitarbeiter:
Gesunde Kollegen müssen oft die Aufgaben der kranken, aber anwesenden Mitarbeiter mit übernehmen, was zu einer zusätzlichen Belastung und im schlimmsten Fall zu deren eigener Erschöpfung oder Krankheit führen kann.
Gründe, warum Arbeitnehmer krank zur Arbeit gehen
Hoher Arbeits- und Termindruck / Hohe Arbeitsbelastung: Angst, dass die Arbeit liegen bleibt und sich auftürmt.
Personalmangel und fehlende Vertretung:
Das Gefühl, unersetzlich zu sein oder die Kollegen nicht im Stich lassen zu wollen.
Unternehmenskultur:
Eine Kultur, in der Anwesenheit über Gesundheit gestellt wird, oder in der Krankheit als Schwäche ausgelegt wird. Manchmal gibt es sogar Boni für wenig Fehltage.
Angst vor Jobverlust oder negativen Konsequenzen:
Besonders in prekären Arbeitsverhältnissen oder bei hoher Jobunsicherheit.
Führungskräfte als Vorbild:
Wenn Führungskräfte selbst krank zur Arbeit erscheinen, sendet das ein Signal an die Belegschaft.
Geldsorgen:
Nicht alle Arbeitnehmer erhalten im Krankheitsfall vollen Lohn oder haben andere finanzielle Ängste.
Hohes Verantwortungsgefühl
oder starke Bindung zum Arbeitgeber.
Präsentismus ist ein ernstzunehmendes Problem mit weitreichenden negativen Auswirkungen auf die
Produktivität, die Gesundheit der Mitarbeiter und letztlich die Wirtschaft.
Unternehmen, die dies erkennen, investieren zunehmend in betriebliches Gesundheitsmanagement, um eine Kultur zu schaffen, in der Mitarbeiter sich erlauben können, Krankheiten auszukurieren, was langfristig gesündere und produktivere Belegschaften fördert.
Wie viele Menschen leben in Deutschland VON Krankheit?
Krankheit ist nicht nur ein Leiden. Sie ist ein System. Ein Geschäft. Und ein Berufsfeld für Millionen – weit über Pflege und Klinik hinaus.
Geschätzte Beschäftigte in der Gesundheitswirtschaft
Insgesamt 7,7 Mio.
Das entspricht ca. 16–18 % aller Erwerbstätigen in Deutschland
Mindestens 12,7 % des BIP fließen direkt in Strukturen, die mit Krankheit, Pflege und Gesundheitsmanagement zu tun haben.
Krankheit beschäftigt nicht nur Ärzte, sondern auch das System selbst. (Verwaltung, Kontrolle, Begutachtung, Förderung, Begleitung)
In Deutschland lebt rund jeder sechste Erwerbstätige direkt oder indirekt von Krankheit – ob körperlich, seelisch oder strukturell bedingt.
Auch der Staat lebt vom Kranksein.
Jährlich fließen über 500 Milliarden Euro durch diesen Sektor. Krankheit ist damit nicht nur eine menschliche Katastrophe – sie ist auch ein Wirtschaftsmodell.
Die Zahl ist kontinuierlich steigend.
2005 waren es noch 4,4 Mio. – also ein Anstieg um über 75 % in weniger als 20 Jahren. (Quelle: BMWK-Gesundheitswirtschaftsbericht, Statistisches Bundesamt)
Zum Vergleich:
Die Automobilindustrie liegt bei ca. 4,6–5 % des BIP.
Die Gesundheitswirtschaft somit eine der größten Wirtschaftsbranchen Deutschlands.
Fazit in Zahlen
7,7 Millionen Beschäftigte in der Gesundheitswirtschaft = 16,5 % aller Erwerbstätigen
12,7 % des BIP = größer als Maschinenbau, Automobil oder Bau
Jährlicher Geldfluss: über 500 Milliarden Euro
Die Branche wächst weiter – nicht trotz, sondern wegen demografischem Wandel & chronischen Erkrankungen
Es ist an der Zeit, die Mär vom "kranken Schmarotzer" endgültig zu begraben.
Statt kranke Menschen unter Druck zu setzen, sollten wir erkennen, dass offener Umgang mit Krankheit nicht nur menschlich, sondern auch wirtschaftlich klug ist.
Fördern wir ein Umfeld, in dem Gesundheit über falsche Scham steht.
Was wirst Du tun, um diese Perspektive in deinem Umfeld zu verbreiten? Hinterlass mir doch eine Kurze Nachricht und sag mir Deine Meinung!
Hältst Du es für möglich, dass sich das Mindestes zu dieser Frage endlich ändern könnte?
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