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Der Einkaufszettel und die Macht der Worte: Eine Reise vom Kopf in die Gesellschaft

Neulich ist es mir wieder passiert. Ich steh im Geschäft und weiß nicht mehr, was ich kaufen wollte. Dieser eine Gegenstand von dem ich mir zu Hause noch dachte, Mensch...das darfst du auf keinen Fall vergessen! Hilflos suchend wandere ich durch die Regale und dann passiert es.

 

Ich rede mich in Gedanken selbst schräg an: 

 

"Wie kannst Du nur so dumm sein? Warum hast Du es nicht aufgeschrieben oder ein Bild als Gedankenstütze gemacht?" 

 

Achtsamkeitstraining als Rettung 

 

Zum Glück mach ich schon seit Jahren Achtsamkeitstraining. In solchen Momenten beweist mir mein Gehirn, dass das nicht ganz umsonst war. Ich habe den Gedanken rechtzeitig identifiziert. 

 

Die wichtigen 3 Sekunden 

 

Die „3-Sekunden-Regel“, wie sie manchmal genannt wird, ist keine offiziell wissenschaftlich festgelegte Regel, sondern eher ein praktischer Tipp aus Vera v. Birkenbihls Erfahrung mit mentaler Selbststeuerung. Sie sagte sinngemäß: 

 

„Wenn wir uns ärgern, ist das eine reflexhafte Reaktion von etwa 15 Sekunden. Wenn wir uns länger ärgern, haben wir uns selbst dafür entschieden.“ 

 

Die Idee, innerhalb von wenigen Sekunden bewusst umzulenken – also z. B. einem negativen Gedanken einen positiven „nachzuschicken“ – basiert auf dem Prinzip, dass wir unsere Gedanken aktiv beeinflussen können, bevor sie sich emotional und körperlich verfestigen. 

 

Frau Birkenbihl berief sich dabei nicht explizit auf eine einzelne Quelle, sondern kombiniert Erkenntnisse aus der Hirnforschung, Psychologie und ihrer eigenen Coachingpraxis. 

 

Also, diesmal noch gerettet! Ich bin nicht dumm! Ich bin Mensch! So was kann passieren und hat nicht wirklich mit Intelligenz zu tun! Es ist auch gar nicht schlimm! Wenn ich es wirklich noch brauche, geh ich noch mal. Dauert nur ein paar Minuten!  Bewegung tut mir gut! 

 

Dennoch gibt mir das zu denken. Schon komisch, wie sich Sprache auf Geist und Körper auswirkt! Das alles bilde ich mir nicht nur ein! Es ist wissenschaftlich erwiesen! 

 

Gedanken und Gefühle können der Gesundheit also zuträglich sein, sie können ihr aber auch schaden. 

 

So weit so gut. Ich habe meine Gedanken einigermaßen im Griff. Aber ich fühle, irgendetwas stimmt trotzdem nicht. 

 

Unsere Gedanken werden immer auch von der Umwelt beeinflusst. Eltern prägen mit ihren Worten die Weltsicht ihrer Kinder. Aber die Sache geht noch weit über die Kindheit hinaus. Auch wenn wir als Erwachsene etwas oft genug hören, wird es uns prägen, unsere Gedankenwelt formen und wir werden es letztendlich ungeprüft glauben. 

 

Erschreckender Weise gilt diese Erkenntnis nicht nur für einzelne Menschen, sondern auch für Gesellschaften. 

 

Während man es bei Einzelpersonen als Gaslighting bezeichnet wird, nennt man dies, wenn es sich auf größere Gruppen oder die Bevölkerung bezieht, viel eleganter "Framing". 

 

Mit Framing kann das Verhalten von Massen gesteuert werden. 

 

Der Geruch von frischem Brot beim Betreten eines Supermarktes schafft Vertrauen und weckt den Appetit. Das richtige Licht in der Obstabteilung lässt uns gesündere Lebensmittel kaufen, obwohl wir es nicht vorhatten.Sogar das die teuren Waren in Griffhöhe stehen, ist vorausgeplant. Für billigere Nahrungsmittel müssen sich die meisten Menschen tief hinabbeugen. Wer von uns hat dafür schon Zeit und Lust, wenn er in Eile ist? 

 

Framing kann gut sein, hat aber auch Schattenseiten 

 

Ich unterstelle nun mal, dass Framing in erster Linie zu unserem wohl gedacht sein könnte. Aber mein Gefühl sagt mir, das greift zu kurz! 

 

Wer framed, wählt bestimmte Aspekte eines Themas aus und betont sie. Z. B. durch Wortwahl, Bilder oder Metaphern. Dadurch wird beeinflusst, wie das Publikum das Thema versteht und bewertet. Darum ist Framing ein Mittel das schon seit Unzeiten für politische Zwecke eingesetzt wird. 

 

(Wer das genauer hinterfragen will sollte sich mit Lektüren wie Orwells "Farm der Tiere" oder "1984" beschäftigen. Besser kann man diese Mechanismen, wie man mit Sprache Menschen führen kann, wohl kaum mehr besser erklären. In meiner Kindheit waren diese Werke Pflichtlektüren an Schulen.) 

 

Mich berührt das nicht! Stimmt das wirklich?

  

Lass uns fas doch einmal anhand ein paar gängiger Beispiele näher beleuchten.

  

Ein Narrativ das mir seit Jahren immer wieder begegnet ist der Begriff Flüchtlingswelle. 

 

Sehen wir uns dieses Beispiel doch mal genauer an: 

 

„Flüchtlingswelle“ vs. „Menschen auf der Flucht“ 

 

Beide Begriffe beschreiben denselben Sachverhalt – aber der erste erzeugt ein Bild von Bedrohung und Naturgewalt, der zweite von menschlichem Leid und Empathie. 

 

Ich Überlege kurz... 

 

Siehe da... da gibts noch so einige Begriffe die sich verfälschend auf unsere Wahrnehmung auswirken. Zum Beispiel das gängige Wort: "Sozial schwach" 

 

Dieser Begriff beschreibt arme Menschen und unterstellt automatisch ein an Armut gekoppeltes Defizit im Sozialverhalten. Dabei wären sie viel treffender als "finanziell benachteiligt" bezeichnet. Ich finde diese Unterscheidung wichtig, denn es ist wissenschaftlich erwiesen, dass Armut bis in die achte Generation vererbt wird. 

 

Aber gerade arme Menschen müssen stark zusammenhalten, und das erfordert besondere soziale Kompetenzen und die Fähigkeit, sich gut in das eigene Umfeld zu integrieren und anzupassen. 

 

So gesehen ist dieser Begriff nicht passend und spaltet die Gesellschaft, anstatt zu verbinden. Er lenkt unseren Erkenntnishorizont in eine falsche Richtung. 

 

Hier einige weitere Narrative die wir so gewohnt sind, dass wir sie nicht mehr hinterfragen! 

 

Lasst uns das mal ganz boshaft und direkt beleuchten. 

 

Man erklärt uns, dass die die Sozialausgaben explodieren. Aber hält diese Behauptung genauerer Prüfung wirklich stand? 

 

Im Europäischen Vergleich sind die Sozialausgaben in Deutschland eher unterdurchschnittlich, während sich die Abgabenlasst im obersten Bereich bewegt.  Die das Verhältnis der Sozialausgaben hat im Vergleich zum Bruttosozialprodukt in den letzten Jahren sogar abgenommen. Aber explodierende Wohnkosten reißen die Sozialausgaben mit! Gerade bei umstrittenen Themen wie dem Bürgergeld macht dies die Hälfte der Mittel aus, die dem Hilfesuchenden zugestanden werden. Nicht der finanziell Benachteiligte profitiert unverhältnismäßig, sondern jene, die Wohnflächen vermieten. 

 

Eine Lösung ohne weitere, strengere Gesetze zu verhängen ist einfach gefunden. Der Ausbau des sozialen Wohnungsbaus würde eine starke Regulierung des Marktes erzwingen. Die Kosten würden sich in einigen Jahren amortisieren aber langfristig positive Wirkung zur Zufriedenheit aller Bürger beitragen. Warum das nicht praktiziert wird wie z. B. in Österreich, kann ich nur mutmaßen! 

 

Dies ist nur ein Beispiel von vielen möglichen. Oft hören wir statt einer detaillierten Erklärung, warum oft nicht in Zukunftsprojekte investieret wird hören wir zumeist: 

 

"Das können wir uns nicht leisten." 

 

(Ich finde, das ist ein irritierender Satz in Bezug eines der reichsten Länder der Welt? Die Vergangenheit zeigte doch, für Bankenrettung standen in kürzester Zeit unglaubliche Summen ohne lange Diskussion zur Verfügung.) 

 

Kann es sein, dass wir einfach zu oft vorgefertigte Schlagwörter und Glaubendbilder, die von der Presse verbreitet werden, ungeprüft übernehmen? Zu selten die Frage stellen, ob diese Formulierung den Sachverhalt ehrlich und objektiv beschreibt? Zu selten die wichtigste Frage stellen: "Wer hat wirklich was davon, wenn ich dieses Narrativ ungeprüft übernehme?" 

 

Es ist wie bei einem Körper! 

 

Ich sage ja auch nicht, dass meine Hand, die mir immer Essen in den Mund schiebt schuld daran ist, wenn ich zu dick bin! 

 

Auch die Gesellschaft in der wir leben ist eine Art Organismus in dem jeder als Zelle seine Aufgabe hat! Einfach nur schwachen Gruppen für Schwächen des Systems zuzuweisen löst weder das Problem, noch wirkt es verbindend auf die Gemeinschaft. Lediglich einige Eliten können davon profitieren. Schwächende Narrative wirken sich schädlich auf die gesamte Bevölkerung aus, untergraben das Selbstbewusstsein und das Selbstwertgefühl Einzelner und führen zu politischen Entscheidungen der Masse, die nicht immer stabilisierend für unsere Demokratie sind. 

 

Was kann ich als Einzelner schon dagegen tun? 

 

Jeder von uns kann etwas dagegen tun, wenn wir uns fragen:

  • Was genau wird mit diesen Begriffen und Redewendungen ausgesagt?
  • Kann das wirklich so stimmen?
  • Will ich diese Worte in diesem Zusammenhang wirklich gebrauchen, oder nenne ich die Sachverhalte beim Namen, ohne jemand zu diskriminieren oder zu beschuldigen!  

Immerhin! Letztendlich sitzen wir alle im selben Boot! Irgendwann werden wir alle alt und Hilfsbedürftig. (Ich weiß...keiner will alt werden, aber jung sterben will auch keiner!) Jeder von uns kann krank, oder für seinen Betrieb entbehrlich werden und so in finanzielle Not geraten. Wenn das passiert wollen wir trotzdem unsere Würde und unseren Wert behalten. Ich glaube, das sollte genug Grund sein, darüber nachzudenken, wie wir uns ausdrücken. 

 

Wir sollten uns in Erinnerung rufen: 

 

Menschen sind hochsoziale Wesen. Seit der Steinzeit haben Menschen von Stonehenge bis zu den Wolkenkratzern der Neuzeit gemeinsam unglaubliche Leistungen vollbracht. 

 

Statt darüber nachzudenken, ob Geschichten wie Pippi Langstrumpf oder Jim Knopf noch erzählt werden sollten, könnten wir uns Gedanken machen, mit welchen Narrativen wir uns framen lassen und inwieweit wir unserer Gesellschaft dadurch schaden, dass wir ohne zu überlegen und zu hinterfragen nachplappern. 

 

Sprache ist Macht. Und wir alle tragen zu ihrer Entwicklung bei! 

 

Ich fürchte, es liegt in unser aller Verantwortung eine Sprache zu etablieren, die niemand diskriminiert und keine irreführenden Narrative verwendet! 

 

Vielleicht sollten wir öfter innehalten und fragen:  

  • Welche Worte stärken uns, und welche schwächen uns?
  • Was soll mir hier vermittelt werden, und warum?
  • Wem nützt es, wenn eine Gesellschaft untereinander Schuld zuweist, statt das System auf Schwachstellen zu hinterfragen?

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